Mord im Gurkenbeet - Страница 4


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So tot wie die Schnepfe.

War Vater deshalb so erschüttert gewesen?

»Nein! Nein! Geht weg!« Die barsche Stimme drang durch mein offenes Fenster und schnitt meinen Gedankenfaden - Schnips! - mitten durch.

Ich warf die Decke ab, sprang aus dem Bett, lief ans Fenster und spähte in den Küchengarten hinunter.

Es war Dogger, der da gerufen hatte. Er stand mit dem Rücken an der Gartenmauer aus verwitterten roten Ziegeln und spreizte die wettergegerbten Finger.

»Kommt mir ja nicht zu nahe! Haut ab!«

Dogger war Vaters Bediensteter, sein Faktotum. Und er war allein im Garten.

Man munkelte - beziehungsweise Mrs Mullet munkelte -, Dogger habe zwei Jahre in japanischer Kriegsgefangenschaft geschmachtet, gefolgt von über einem Jahr der Folter, des Hungers, der Mangelernährung und Zwangsarbeit an der Eisenbahnlinie des Todes, zwischen Thailand und Burma, wo er, so hieß es, gezwungen gewesen war, sich von Rattenfleisch zu ernähren.

»Du musst nachsichtig mit ihm sein, Schatz«, hatte sie gemeint. »Er ist völlig mit den Nerven runter.«

Ich schaute zu ihm hinab, wie er so im Gurkenbeet stand, die vorzeitig weiß gewordenen Haare nach allen Seiten abstehend und den Blick, allem Anschein nach ohne etwas zu sehen, gen Himmel gerichtet.

»Ist schon gut, Dogger«, rief ich. »Ich hab sie von hier oben aus im Griff.«

Ich dachte schon, er hätte mich nicht gehört, doch da wandte

»Alles klar, Dogger«, rief ich. »Sie sind weg.«

Da sackte er in sich zusammen, als hätte man ihm den Strom abgeschaltet.

»Miss Flavia?« Seine Stimme bebte. »Bist du das, Miss F lavia?«

»Ich komm runter!«, rief ich. »Bin gleich da.«

Ich sauste wie ein geölter Blitz die Hintertreppe hinunter in die Küche. Mrs Mullet war nach Hause gegangen, aber der Schmandkuchen stand zum Abkühlen am offenen Fenster.

Nein, dachte ich, Dogger braucht jetzt etwas zu trinken. Vater verwahrte seinen Whisky in einem verschlossenen Bücherschrank in seinem Arbeitszimmer. Außerdem durfte ich ihn dort nicht stören.

Zum Glück entdeckte ich in der Speisekammer einen Krug kalter Milch. Ich goss ein großes Glas ein und rannte in den Garten.

»Bitteschön!«

Dogger nahm das Glas mit beiden Händen entgegen, starrte es lange an, als wüsste er nicht recht, was er damit anfangen sollte, dann setzte er es zitternd an die Lippen. Er trank es mit langen Zügen aus und gab es mir zurück.

Er sah beinahe glückselig aus, wie ein Engel von Raffael, aber dieser Eindruck verflüchtigte sich rasch wieder.

»Du hast einen weißen Schnurrbart«, stellte ich fest, bückte mich zu den Gurken hinab, riss ein großes grünes Blatt ab und wischte ihm damit über die Oberlippe.

Sein leerer Blick belebte sich.

»Milch und Gurken …«, stammelte er. »Gurken und Milch …«

»Gift!«, rief ich, vollführte Luftsprünge und schlug mit den Armen wie ein Huhn mit den Flügeln, um ihm zu zeigen, dass

Er blinzelte.

»Meine Güte!«, sagte er und sah sich im Garten um, wie eine Prinzessin, die soeben aus einem hundertjährigen Schlaf erwacht, »also, wenn das kein schöner Tag wird …!«

Vater erschien nicht zum Mittagessen. Probehalber legte ich das Ohr an die Tür zu seinem Arbeitszimmer und wartete so lange, bis ich hörte, wie drinnen die Seiten der philatelistischen Zeitschrift umgeblättert wurden und die väterliche Kehle sich räusperte. Die Nerven, dachte ich mir.

Am Tisch war Daphne, die Nase tief in ihrem Horace Walpole, ihr Gurkensandwich lag aufgeweicht und in Vergessenheit geraten vor ihr. Ophelia seufzte unablässig vor sich hin, schlug die Beine übereinander, dann wieder auseinander und schließlich wieder übereinander und starrte ins Leere, sodass ich nur vermuten konnte, dass sie in Gedanken mit Ned Cropper, dem Hansdampf in allen Gassen aus dem Dreizehn Erpel, flirtete. Sie war viel zu versunken in ihren überheblichen Tagtraum, um mitzubekommen, dass ich mich vorbeugte und einen prüfenden Blick auf ihre Lippen warf, als sie geistesabwesend nach einem Rohrzuckerwürfel langte, ihn in den Mund steckte und draufloslutschte.

»Mensch«, verkündete ich aufs Geratewohl, »morgen früh werden die Pickel aber prächtig sprießen.«

Sie stürzte sich auf mich, aber ich war schneller als sie mit ihren Flossen.

Oben schrieb ich in mein Labortagebuch:

Freitag, 2. Juni 1950, 13.07 Uhr. Noch keine erkennbare Reaktion. »Ohne Geduld keine Genialität« - Disraeli

Ich konnte nicht einschlafen. Meistens schlafe ich wie ein Stein, kaum dass das Licht aus ist, aber an diesem Abend war es anders. Ich lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und ließ den Tag noch einmal an mir vorüberziehen.

Da war zunächst der Vorfall mit Vater. Nein, das war nicht ganz richtig. Zuerst hatte der tote Vogel auf der Schwelle gelegen - dann hatte Vater auf den Anblick reagiert. Ich glaubte zwar, Angst in seinem Gesicht gelesen zu haben, aber mich plagte trotzdem ein klitzekleiner Zweifel.

In meinen Augen - in unser aller Augen - kannte Vater keine Furcht. Er hatte im Krieg viel Schreckliches erlebt, dermaßen Schreckliches, dass man ihn am besten nicht darauf ansprach. Er hatte Harriets Verschwinden und die Nachricht von ihrem Tod verkraftet. Und stets war er tapfer, standhaft, zäh und unerschütterlich gewesen. Unglaublich britisch. Immer Haltung bewahren! Aber diesmal …

Zum anderen der Vorfall mit Dogger: Arthur Wellesley Dogger, um ihn »vollständig samt seinem Vatersnamen« (wie er es an seinen besseren Tagen nannte) zu bezeichnen. Dogger war ursprünglich als Vaters Diener zu uns gekommen; aber dann, als »die äußerst vielfältigen Pflichten« (seine Worte, nicht meine), die diese Stellung mit sich brachte, ihn gar zu sehr drückten, fand er es »opportuner«, erst zum Butler ernannt zu werden, dann zum Chauffeur, dann zum Haushandwerker und zu guter Letzt wieder zum Chauffeur. In den letzten paar Monaten war er die Karriereleiter wie ein welkes Blatt sanft hinuntergetrudelt, bis er auf seinem gegenwärtigen Posten als Gärtner zur Ruhe gekommen war und Vater unseren Hillman Kombi der Tombola von St. Tankred gestiftet hatte.

Armer Dogger! So dachte ich, obwohl mich Daphne ermahnt hatte, so dürfe man über niemanden denken oder sprechen. »Das ist nicht nur herablassend, sondern schließt obendrein jede künftige Verbesserung aus.«

Trotzdem. Wer hätte den Anblick vergessen können, wie Dogger an der Mauer gestanden hatte? Ein einfältiger Bär von einem Mann, der hilflos dasteht, die Haare ebenso in Unordnung wie sein Werkzeug, und einer Miene, als ob … als ob …

Ein leises Rascheln lenkte mich ab. Ich drehte den Kopf lauschend zur Seite.

Nichts.

Es ist nun mal so, dass ich zufälligerweise unglaublich gut höre, dass ich, wie Vater einmal meinte, die Spinnweben an den Wänden klappern höre wie Hufeisen. Auch Harriet hat so gut gehört, und manchmal stelle ich mir vor, dass ich in gewisser Hinsicht ein absurdes Überbleibsel von ihr bin: zwei geisterhafte Ohren, die durch die heiligen Hallen von Buckshaw spuken und Dinge hören, die vielleicht lieber ungehört blieben.

Aber da war es wieder! Der Widerhall einer Stimme, dumpf und tonlos, als raunte jemand in eine leere Keksdose.

Ich schlüpfte aus dem Bett und huschte auf Zehenspitzen ans Fenster. Ohne den Vorhang beiseitezuziehen, spähte ich in den Küchengarten hinunter, gerade als der Mond zuvorkommenderweise hinter einer Wolke hervorglitt und die Szenerie in ein Licht tauchte, wie es gut zu einer erstklassigen Aufführung von Ein Sommernachtstraum gepasst hätte.

Aber mehr als seine silbernen Strahlen, die zwischen Gurken und Rosen umhertanzten, war nicht zu erkennen.

Dann hörte ich jemanden reden: eine Art zorniges Brummen wie von einer Biene im Spätsommer, die gegen eine Fensterscheibe fliegt. Ich warf einen von Harriets seidenen japanischen Morgenmänteln über (einen von zweien, die ich vor der großen Säuberung gerettet hatte), schlüpfte in die perlenbestickten indianischen Mokassins, die mir als Hausschuhe dienten, und schlich zum Treppenabsatz. Die Stimme kam von irgendwo aus dem Haus.

Auf Buckshaw gab es zwei Haupttreppen, die sich spiegelbildlich

Ich legte das Ohr an die Tür.

»Abgesehen davon, Schnäppi«, sagte eine schurkische Stimme hinter der Täfelung, »wie konntest du mit dieser Erkenntnis weiterleben? Wie konntest du einfach so weitermachen?«

Einen beklemmenden Augenblick lang dachte ich schon, der Schauspieler Georg Sanders wäre nach Buckshaw gekommen und würde Vater hinter verschlossenen Türen eine Gardinenpredigt halten.

»Verschwinde«, sagte Vater. Sein Ton war zwar nicht ärgerlich, aber so ruhig und beherrscht, dass ich genau wusste, wie zornig er war. Ich sah seine gefurchte Stirn, seine geballten Fäuste und die wie Bogensehnen gespannten Kiefermuskeln vor mir.

»Reg dich ab, alter Junge«, entgegnete die ölige Stimme. »Wir stecken da gemeinsam drin. Ein für alle Mal. Das weißt du genauso gut wie ich.«

»Twining hatte Recht«, sagte Vater. »Du bist wirklich eine widerwärtige Kreatur.«

»Twining? Der olle Teebeutel ist doch inzwischen seit drei ßig Jahren tot, Schnäppi, genau wie Jacob Marley. Und ebenso wie Marleys treibt auch sein Geist noch immer sein Unwesen. Wie dir vielleicht aufgefallen ist.«

»Und wir haben ihn umgebracht«, sagte Vater tonlos.

Hatte ich mich verhört? Das konnte doch nicht …

Ich nahm das Ohr von der Tür, beugte mich zum Schlüsselloch hinunter und verpasste deshalb Vaters nächste Worte. Er stand neben dem Schreibtisch mit dem Gesicht zur Tür. Der

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