Mord im Gurkenbeet - Страница 6


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Eine unerträglich lange Pause entstand, und ich durfte ihm zuhören, wie er auf seinem Schreibtisch herumfuhrwerkte. Dann konnte es endlich weitergehen:

»So, jetzt. Geben Sie mir bitte als Erstes den Namen des Verstorbenen durch, langsam und deutlich, und den Nachnamen zuerst.«

»Ich weiß nicht, wie der Betreffende heißt«, entgegnete ich. »Ich kenne ihn nämlich nicht.«

Ersteres entsprach der Wahrheit: Wie er hieß, wusste ich nicht. Aber ich wusste sehr wohl, und zwar nur allzu gut, dass der Tote im Garten - der Tote mit den roten Haaren, der Tote im grauen Anzug - derselbe Mann war, den ich durchs Schlüsselloch im Arbeitszimmer meines Vaters gesehen hatte. Der Mann, den Vater …

Aber das konnte ich der Polizei ja schlecht verraten.

»Ich weiß nicht, wie er heißt«, wiederholte ich. »Ich habe ihn noch nie im Leben gesehen.«

Damit hatte ich die Grenze überschritten.

Mrs Mullet und die Polizei trafen gleichzeitig ein, sie zu Fuß aus dem Dorf, die Polizisten in einer blauen Vauxhall-Limousine. Als der Wagen knirschend auf dem Kies zum Stehen gekommen war, öffnete sich knarrend der Wagenschlag, und ein Mann stieg aus.

»Miss de Luce!«, begrüßte er mich, als könnte er mich allein durch die Nennung meines Namens gefügig machen. »Darf ich Flavia zu dir sagen?«

Ich nickte.

»Ich bin Inspektor Hewitt. Ist dein Vater zu Hause?«

Der Inspektor war ein durchaus gut aussehender Mann mit Illustrierte Geschichte des Krieges gesehen hatte, die in Stapeln wie weiße Schneewehen im Salon lagerten.

»Schon«, antwortete ich, »aber er ist gerade indisponiert.« Das Wort hatte ich mir von Ophelia ausgeliehen. »Aber ich kann Sie auch zu der Leiche hinführen.«

Mrs Mullet fiel die Kinnlade herunter, und die Augen wollten ihr schier aus dem Kopf treten.

»Ach du Heiliger! Entschuldige vielmals, Miss Flavia, aber … ach du Heiliger!«

Hätte sie eine Schürze umgehabt, hätte sie sich selbige über den Kopf gezogen und die Beine in die Hand genommen. Da sie keine Schürze trug, wankte sie durch die offene Tür ins Haus.

Nun kletterten zwei Männer in blauen Anzügen umständlich aus dem Polizeiwagen, die bislang, als hätten sie auf nähere Anweisungen gewartet, auf der Rückbank sitzen geblieben waren.

»Detective Sergeant Woolmer und Detective Sergeant Graves«, stellte Inspektor Hewitt die beiden vor. Sergeant Woolmer war ungeschlacht und vierschrötig und hatte eine eingedrückte Nase wie ein Preisboxer, Sergeant Graves war ein munteres blondes Männlein mit Grübchen, das mich angrinste, als es mir die Hand schüttelte.

»Wenn du jetzt so nett wärst …«, sagte Inspektor Hewitt.

Die Detective Sergeants holten ihre Ausrüstung aus dem Kofferraum des Vauxhall, und ich führte die schweigende Prozession durch das Haus bis nach hinten in den Garten.

Nachdem ich ihnen gezeigt hatte, wo die Leiche lag, schaute ich interessiert zu, wie Sergeant Woolmer eine Kamera auspackte und auf ein hölzernes Stativ schraubte, wobei seine Wurstfinger erstaunlich geschickt mit den silbernen Einstellrädchen

Vor Neugier geradezu sabbernd trat ich näher.

»Ob es wohl zu viel verlangt wäre, Flavia …«, Inspektor Hewitt trat schwungvoll ins Gurkenbeet, »… wenn du jemanden bitten würdest, uns ein Tässchen Tee zu bringen?«

Ich muss wohl vielsagend dreingeschaut haben.

»Wir mussten heute Morgen furchtbar früh raus. Meinst du, du könntest für uns etwas Heißes zu trinken auftreiben?«

Typisch. Ob Geburt oder Todesfall - stets wird die einzige anwesende Frau losgeschickt, um den Kessel aufzusetzen. Hielt mich der Kerl etwa für ein Dienstmädchen?

»Mal sehen, was sich machen lässt, Herr Inspektor«, erwiderte ich ausgesprochen unterkühlt, wie ich hoffte.

»Vielen Dank«, erwiderte Inspektor Hewitt. Und als ich schon fast an der Küchentür war, rief er mir nach: »Ach ja, Flavia …«

Ich drehte mich erwartungsvoll um.

»Wir holen uns den Tee ab. Du brauchst ihn nicht extra hier nach draußen zu bringen.«

Der Kerl hatte vielleicht Nerven! Nicht zu fassen!

Ophelia und Daphne saßen schon am Frühstückstisch. Mrs Mullet hatte die schlimmen Neuigkeiten sofort ausgeplaudert, sodass die beiden genug Zeit gehabt hatten, eine gespielt gleichgültige Haltung einzunehmen.

Ophelias Mund hatte immer noch nicht auf mein kleines Präparat reagiert. Ich nahm mir vor, die Uhrzeit der Begutachtung und das Ergebnis später nachzutragen.

»Ich hab im Gurkenbeet eine Leiche gefunden«, verkündete ich.

»Das sieht dir mal wieder ähnlich.« Ophelia zupfte sich ungerührt weiter die Augenbrauen.

Daphne hatte Die Burg von Otranto ausgelesen und war schon mittendrin in Nicholas Nickleby. Aber mir fiel auf, dass sie sich beim Lesen auf die Unterlippe biss: ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie abgelenkt war.

Eine theatralische Stille trat ein.

»War denn viel Blut zu sehen?«, erkundigte sich Ophelia schließlich.

»Nein. Nicht ein Tropfen.«

»Wessen Leiche ist es denn?«

»Keine Ahnung.« Ich packte dankbar die Gelegenheit beim Schopf, mich hinter der Wahrheit zu verstecken.

»Tod eines Wildfremden«, deklamierte Daphne, als kündigte sie ein Kriminalhörspiel an. Sie nahm die Nase aus ihrem Dickens, ließ aber den Finger zwischen den Seiten.

»Woher willst du wissen, dass es ein Fremder ist?«, fragte ich.

»Ist doch sonnenklar«, erwiderte Daffy. »Du bist es nicht, ich bin’s nicht und Feely ist es auch nicht. Mrs Mullet ist in der Küche, Dogger ist mit den Bullen im Garten und Vater hat noch vor wenigen Minuten oben im Bad rumgeplanscht.«

Ich wollte sie schon dahingehend berichtigen, dass ich es gewesen war, die sie im Bad gehört hatte, ließ es aber bleiben. Jedes Mal, wenn ich das Badezimmer erwähnte, führte das unweigerlich zu gehässigen Bemerkungen hinsichtlich meiner Reinlichkeit. Aber nach den frühmorgendlichen Ereignissen im Garten hatte ich das dringende Bedürfnis nach Wasser und Seife verspürt.

»Er ist wahrscheinlich vergiftet worden«, sagte ich. »Der Fremde, meine ich.«

»Es ist immer Gift, oder?« Feely warf ihr Haar in den Nacken.

Als sie angewidert den Teller mit den Resten ihres pochierten Eis von sich schob, sprang in meinem Geist etwas auf wie ein Stück Glut, das vom Rost auf die Herdplatte hüpft, aber ehe ich mich dem zuwenden konnte, wurde meine Gedankenkette leider unterbrochen.

»Hört euch das an!« Daphne fing an, laut vorzulesen. »Fanny Squeers schreibt einen Brief:

… mein Bapa ist im gansen Leibe nur eine Beile, bald blau bald grön; auch sind zwei Benke mit seinem Blute be flegt. Wir sahen uns genetigt, ihn in die Kiche hinunter zu bringen, woer jetzt ligt. Sie werden hieraus selber urteilen, dass er sehr heruntergekommen ist.

Nachdem Ihr Newö, den Sie als einen Leerer recommandirten, meinem Bapa dieß angedan und mit baren Füsen auf seinem Leib herumgesprungen hate und auch schempfte mit was ich die Beschreibung meiner Feder nicht beschmutzen mag, so grif er Mama auf eine firchderliche Weise an, schleuderte sie zu Boden und schlug ihr den Kam einige Zol tief in den Kopf, ein klein wenig weider und es were in den Schedel gegangen. Wir haben ein medizinisches Zerdifikat, das, wenn dieß geschehen wäre, der Schildkrot das Hirn verletzt haben würde.

Und jetzt hört euch den nächsten Absatz an:

Dann wurde ich und mein Bruder die Opfer seiner Wut und wir haben seitdem ser viele schmerzen ausgestanden, was uns zu der peinlichen Vermutung leitet, dass wir irgendwo innerlich Schaden genommen haben, besonders da euserlich keine Spuren der Gewaldsamkeit sichtbar sind. Ich muss die ganse Zeit über, das ich schreibe, immer laud aufschreien …«

Für mich hörte sich das wie ein klassischer Fall von Zyankali-Vergiftung an, aber ich hatte keine Lust, die beiden dummen Ziegen an meiner Erkenntnis teilhaben zu lassen.

»Ich muss die ganse Zeit beim Schreiben laud schreien«, wiederholte Daffy. »Stellt euch das bloß mal vor!«

»Das Gefühl kenn ich.« Ich schob meinen Teller weg und ging, ohne mein Frühstück auch nur angerührt zu haben, langsam die Treppe zu meinem Labor hoch.

Immer wenn ich durcheinander war, zog ich mich in mein Sanctum Sanctorum zurück. Hier, zwischen den Flaschen und Reagenzgläsern, gestattete ich mir den Luxus, in dem zu schwelgen, was ich insgeheim den »Geist der Chemie« zu nennen pflegte. Entweder vollzog ich Schritt für Schritt die Entdeckungen der großen Chemiker nach, oder ich zog andächtig einen Band von Tar de Luces kostbaren Büchern aus dem Regal, etwa die englische Übersetzung von Antoine Lavoisiers Chemische Elemente, erschienen 1790, dessen Blätter aber noch nach hundertsechzig Jahren so fest wie Metzgereipapier waren. Ich erfreute mich an den altmodischen Namen und Bezeichnungen, die nur darauf warteten, von den Seiten gepflückt zu werden: Antimonbutter … Arsenblumen.

»Übel riechende Gifte«, nannte sie Lavoisier, aber ich suhlte mich im Klang ihrer Namen wie ein Schwein im Kurbad.

»Königsgelb!«, sagte ich laut, kostete die Worte aus und labte mich trotz ihrer giftigen Wirkung daran.

»Venuskristalle! Boyles dampfende Flüssigkeiten! Ameisen öl!«

Aber diesmal wollte es nicht klappen. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Ich musste an Vater denken und daran, was ich gesehen und gehört hatte. Wer war dieser Twining - der »olle Teebeutel« -, der Mann, von dem Vater behauptet hatte, er und der Fremde hätten ihn umgebracht? Und

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